Josef KASTELLAN

Josef KASTELLAN

Eigenschaften

Art Wert Datum Ort Quellenangaben
Name Josef KASTELLAN
Beruf
Beruf
Religionszugehörigkeit
Religionszugehörigkeit

Ereignisse

Art Datum Ort Quellenangaben
Geburt 3. März 1872 Porwangen, Roessel, Ostpreussen nach diesem Ort suchen
Taufe 6. März 1872 Lautern, Roessel, Ostpreussen nach diesem Ort suchen
Tod 9. November 1945 Porwangen, Roessel, Ostpreussen nach diesem Ort suchen
Wohnen
Wohnen
Heirat 15. November 1897 Lautern, Roessel, Ostpreussen nach diesem Ort suchen

Ehepartner und Kinder

Heirat Ehepartner Kinder
15. November 1897
Lautern, Roessel, Ostpreussen
Anna LIPSKE

Notizen zu dieser Person

* 8 Uhr abends, + b.d.Vertreibung durch die Polen an Ent-
kräftung u. möglw.Typhus. Amtlich für tot erklärt
wurde in der Familie "Opa Ostpreußen" genannt
Josef Kastilan wird am 3. März 1872 um acht Uhr abends als zweites der sieben
Kinder von Josephus Kastilahn und dessen Frau Anna Masuch zur Welt. Die Hebamme
bekommt 1 Silbergroschen und vier Pfennig.Sein Geburtsort ist das Ostpreußische
Dorf Porwangen, das etwa 6 km westlich von Lautern gelegen ist.
Am 6.März 1872 wird er getauft. Seine Paten sind der Instmann Andreas Rex aus
Wangst und die Magd Catharina Kastilan aus Schöneberg.
Josef Kastilan arbeitet zunächst auf einem Hof in Porwangen, bevor er auf dem
Heinrichshof in Kekitten als Landarbeiter beschäftigt wird. Im Winter fischt er
auf dem Großlauterer See. Das Fischrecht für einen Teil des Sees liegt, wie
erzählt wird, auf dem Heinrichshof.
Im Alter von 25 Jahren (1897) wird ihm von einer Magd beim Aufladen von Heu
sein linkes Auge mit einer Heugabel beschädigt und erblindet. Josef Kastilan
wird deshalb auch kein Soldat.
Nach dem ersten Weltkrieg zieht er mit seiner Familie auf den Abbau Wedig , wo
sie bis zur Vertreibung im November 1945 lebt. Gleichzeitig holt er seinen
Schwiegersohn, August Schimmelpfennig , dorthin; sie leben in einem Haus.
Anna Lippki wird am 24. Juli 1874 in Kekitten geboren. Ihre Eltern sind der
Landarbeiter Antonius Lippki und Maria Kastilahn. Ihre Mutter und ihr
Schwiegervater haben in Martinus Castilahn und Gertrud Langhals (256 u. 257)
gemeinsame Ur-Ur-Großeltern.
Der Lippkihof in Kekitten war so klein, daß Anna und ihr Bruder Anton auf dem
Heinrichshof arbeiteten.
Anna Lippki schenkt ihrem Mann insgesamt 13 Kinder:
1. Kastilan, Franz * 06.08.1894 + 11.05.1955 oo 14.10.1923 mit Ottile
Goertz
2. Kastilan, Joseph * um 1896
3. Kastilan, Maria * um 1898
4 . Kastilan, Änne * 07.12.1903
5. Kastilan, Agathe * 00.10.1905
6. Kastilan, Elisabeth * 27.11.1908
7. Kastilan, Berta * 20.01.1910
8. Kastilan, Rosa * 14.02.1911
9. Kastilan, Johanna * 21.11.1912 oo mit August Schimmelpfennig
10.Kastilan, Lucie * 14.01.1913
11.Kastilan, Martha * um 1914
12.Kastilan, Leo * um 1915
13.Kastilan, Hedwig * um 1916
Als ich der älteste Sohn, Franz Kastilan im fernen Ruhrgebiet verheiratet,
schreibt Josef Kastilan an seine ihm unbekannte Schwiegertochter einen Brief:
"Kekitten, 7.10.23
Liebe Schwiegertochter!
Deinen Brief haben wir erhalten, und daraus ersehen, daß Du unseren Sohn Franz
zu Deinem Mann erwählt hast. Liebe Tochter! Wir haben dagegen nichts
einzuwenden, denn wir ersehen das schon aus dem Briefe, daß er keine schlechte
Lebensgefährtin bekommen kann. Wir haben Dich von Stund an in unsere Familie
eingeschlossen und wolle Dich als unsere eigene Tochter achten.
Die Hochtzeitseinladung haben wir gestern erhalten, nur schade, daß es so
schlecht in der Welt ist, sö währen wir doch wenigstens einer gekommen. Da es
nun aber einmal nicht sein kann, so wünschen wir auch denn das größte Glück zu
Eurem späteren Leben, so Gott will, dann sehen wir uns dort einmal wieder.
Liebe Schwiegertochter! Vielleicht haben wir zu Weihnachten schon etwas bessere
Zeiten, dann kommt Ihr beide zu und herüber.
Franz mag auch wieder keine Strümpfe haben, Mutter hat wieder Wolle für ihn
besorgt, aber wie bekommt man sie bei Euch hin? Grüße doch Franz von uns, und
sage ihm, daß wir die Kartoffeln schon heraus haben, sie sind wieder
einigermaßen geworden.
Die Gänse füttern wir auch schon, und das Schwein werden wir zu Weihnachten
schlachten, und dann, wenn Ihr kommt, dann werden wir die Hochzeit noch einmal
feiern.
Sonst währe ja hier alles beim alten, die Teuerung nimmt von Tag zu Tag zu, ein
Pfund Butter kostet hier schon 45 - 50 Milion, 1 Ei 4 Milion und wenn man an
Kleidungsstücken etwas kaufen will, da wollen sie an Geld garnicht einmal
nehmen, da wollen sie nur Butter und Eier und Getreide. Für ein Paar Stiefel
versohlen verlangen sie schon 16 .?. Roggen, also man weiß hier bald nicht mehr,
wie man sich decken soll. Wenn man hier nichts kann von der Landwirtschaft
aufbringen, so muß man essen wie es gewachsen ist.
Liebe Ottilie! Hoffentlich wird es jetzt doch Franz auch besser haben, denn das
fiele Kostgeld geben kann doch auch nicht mehr fiel sein-
Also liebe Schwiegertochter und lieber Sohn, wir wünschen euch nochmals viel
Glück und wir grüßen Euch alle recht herzlich.
Eure Euch liebenden Eltern, Geschwister und Schwägerinnen
Grüßt doch auch Deine Eltern recht schön von uns und auch unserer Maria und
Familie Kastilan."
Auch ein Brief von Oma Ostpreußen ist erhalten. Sie berichtet darin der in
Herne lebenden Familie ihres Sohnes Franz einige Geburts-, Tauf- und
Heiratsdaten (die wohl zum Nachweis der damals geforderten sogenannten "arischen
Abstammung" notwendig waren) und von den Schwierigkeiten diese zu beschaffen:
"Kekitten, den 6.12.37
Meine Lieben alle
(...) mit den Papieren macht es uns wirklich sehr Schwierigkeiten, weil Schnee
gefallen ist und es ist glatt zum Radfahren für den Vater. Und denn schlagen die
Herrn Geistlichen nicht ein Buch auf ohne Geld. Die sind noch schlimmer wie
Juden nach dem Geld. Voriges mal da wollte dir der Herr Pfarrer die Papiere per
Nachnahme schicken, aber der Vater sagt ich bezahle es selbst.
Und meine Lieben,hier ist noch so alles beim alten. Jetzt haben wir auch auf
einen Zettel für 2M 50 Holz zusammengekriegt. Zu lesen da waren wir, ich und
Vater erste Woche im Wald und nun kam der Schnee und nun liegt es. 3 mal holten
wir schon zu fahren,aber jetzt können wir nicht. Und mit dem Wasser war es noch
nicht so knapp wie dieses Jahr. Waschen kann man überhaupt nicht viel, aber man
muß zufrieden sein. Nun sind wir alt, wo soll man hin? Hier arbeitet der Vater
noch die Miete ab. Bis 1. April hat er sie schon jetzt abgearbeitet. Und so
kostet das kleinste Stübchen schon 10 M pro Monat. Was bleibt uns dann noch viel
zum Leben übrig?
Also meine Lieben, nun Schluß für heute. Und wünschen auch ein frohes
Weihnachtsfest und daß Ottilie alles glücklich überstanden hat."
Einen guten Eindruck von diesen beiden Menschen, der Zeit und der Landschaft,
in der sie lebten und den Umständen , unter denen sie umkamen, gibt ein Aufsatz,
den Franz Hubert Josef Kastilan, ihr Enkelsohn, kurz vorseinem Tode verfaßte:
"Geschichte(n) einer Familie
Bevor mich der Herrgott aus dieser Welt ruft, möchte ich noch das, was ich von
den Menschen die mit mir, und vor allem vor mir lebten, weiß, was ich von dem
Land der Väter (und der Mütter) sehen durfte, für alleZeiten festhalten.
Ich möchte keine Chronik schreiben, sondern das, was ich erleben durfte, in
Geschichten und Reportagen aus der Erinnerung festhalten.
Erinnerungen sind jedoch nicht ganz frei von Gloriolen und rosaroter Farbe.
Trotzdem werde ich mich bemühen, so gut es meine Kräfte erlauben, historisch
getreu, doch subjektiv empfunden, meine Erlebnisse, die "Geschichte(n) einer
Familie" zu schreiben.
Geschichte(n) einer Familie
Ermlandsommer
Vielleicht bin ich der letzte gewesen, der von meinem Geschlecht die Heimat
meines Vaters und seiner Vorfahren, das Ermland, dieses Dreieck um Allenstein in
Ostpreußen, erleben durfte.- Aber auch nur erleben durfte inen Sommer lang.
Ich möchte beginnen mit der Schilderung dieses Landes, so wie ich es in der
Erinnerung habe, und diese Erinnerungen sind die lebhaftesten meines
Lebens.Dieser Sommer 1935, den ich im Hause von "Oma und Opa Ostpreußen" - so
nannten wir Kinder die Eltern meines Vaters - verleben durfte, hinterließ so
tiefe Eindrücke in mir, wie wesentlich spätere Abschnitte meines Lebens nicht
mehr.
Das erste Bild, das diese Landschaft schon auf der Fahrt nach Rothfließ, der
Bahnstation etwa 15 km von Kekitten entfernt, mir einprägte, waren Wälder und
Seens. Seen, so blau, wie ich mir vorher Seen überhaupt nicht vorzustellen
vermochte, und Wälder so groß, so tief, daß man stundenlang hindurchfahren
konnte. Es gab sanft gewellte Sandberge, die häufig von einem kleinen Wäldchen
gekrönt wurden, und Felder, Wiesen und saubere Dörfer.
Oma und Opa holten mich mit der Kutsche des Bauern Wedig, bei dem sie als
Instleute arbeiteten, vom Bahnhof ab. Das war schon ein tolles Erlebnis, mit
Pferd und Wagen durch die riesigen Wälder (zu fahren). Ich erinnere mich, wenn
ich an diese Fahrt denke, eigentlich nur an Wälder.
Die Straßen waren zu der Zeit geschottert, ohne feste Decke und mit einem
(etwa) 2 m breiten Sandweg an der Seite, dem "Sommerweg", auf dem die Fuhrwerke
fuhren.
Das Dorf Kekitten lag am Südufer des Groß-Lauterer Sees und war ein kleines
Nest von etwa 300 Einwohnern. Die Häuser waren entlang der Ufersstraße
angesiedelt, es war also ein Reihendorf. Meines Wissens lag im Dorf selbst nur
ein großer Hof, der Hof Heinrichs. Die übrigen großen Höfe und Güter lagen
abseits des Dorfes als sogenannte "Abbaue".
Die Dorfbewohner waren neben einem kleinen Krämer, den üblichen Handwerkern
und einigen Fischern fast alle kleine Käthner.
Im Dorf war die Häuserzeile zur Seeseite hin an einer Stelle unterbrochen und
ließ einen Strand frei, der der Dorfjugend zum Baden und den Frauen zum Wäsche
waschen diente. Er wurde außerdem hin und wieder als Pferdeschwemme benutzt. Ich
erinnere mich, daß man mir, als ich zum erstenmal an dieser Stelle baden wollte,
etwa 200 m vom Ufer entfernt einen im Wasser stehenden Pfahl zeigte, und mir
klar machte, daß kein Mensch weiter ins Wasser hineingehen könne, denn dort
beginne das "Schwarze Wasser" und jeder, der dort hineingerate, müsse ertrinken.
Das Wasser sei zu kalt.
Tatsächlich erschien das Wasser von dieser Stelle ab wesentlich dunkler zu
sein. In Wahrheit fiel hier der Seegrund steil ab und man wollte durch allerlei
Geschichten verhindern, daß Kinder ins tiefe Wasser, das in der Tat kälter war
als das am Badestrand, hineingerieten.
Etwa 2 km vor dem Dorf, an der Straße nach Seeburg, war schon ein Freibad
angelegt mit einem aus Baumstämmen errichteten Sprungturm und einem Bootssteg.
Dieser Platz war auch die eigentliche Pferdeschwemme, zu der die Pferde fast
jeden Abend getrieben wurden um die Tiere baden zu lassen.
Etwa 8 km in der anderen Richtung, auf der gegenüberliegenden Seeseite lag das
Kirchdorf Lautern. Am Sonntag gingen die einfachen Leute zu Fuß nach Lautern.
Die Bauern fuhren mit Kutschwagen und einige auch schon mit dem Auto zur Kirche.
Nach der Messe trafen sich dann alle im Dorfkrug, der gleichzetig ein großer
Kaufladen war. Dort wurden Neuigkeiten ausgetauscht und die Einkäufe für die
nächste Woche getätigt. Man konnte hier alles kaufen, angefangen von den
Lebensmitteln bis zum Pferdegeschirr. Oma kaufte aber nur Salz und Zucker, alles
andere wurde zu Hause selbst erzeugt
Oma und Opa, sie war damals 61 und Opa 63 Jahre alt, arbeiteten und wohnten
nicht im Dorf, sondern etwa 2,5 km südlich auf dem Abbau Wedig. Von
Sonnenaufgang bis zum späten Abend waren beide auf dem Hof tätig. Dafür stellte
ihnen der Bauer ein kleines Häuschen, in dem auch noch Tante Hannchen und Onkel
August wohnten, die ebenfalls auf dem Hof arbeiteten, zur Verfügung.
Die übrige Bezahlung erfolgte fast ausschließlich in Naturalien. Die meisten
Mahlzeiten nahmen sie auch im Gesindezimmer des Hofes ein.
Außer Oma und Opa, nebst Schwiegersohn und Tochter, arbeiteten auf dem Hof
noch der Pferdeknecht Josef, der in einer kleinen Kammer über dem Pferdestall
schlief, und eine Magd. Die Sonntagsarbeit auf dem Hof wurde von diesen beiden
gemacht, sodaß die Instleute frei hatten, außer in der Ernte.
Da Herr Wedig bereits ein Auto hatte - einen DKW-Meisterklasse -durften Oma
und Opa sonntags mit der Kutsche in die Kirche fahren. Das Verhältnis meiner
Großeltern zu der Familie des Bauern war sehr herzlich und auch ich wurde in
dieser Zeit gehalten wie die beiden eigenen Jungen, die etwas älter als ich
waren.
Wir spielten miteinander auf dem Hof, und am Abend durften wir zwei alle
braven Pferde, den "Peter" und den "Meister" auf die Koppel hinaus reiten - für
mich als Stadtjunge eine ungeheure Sache. Mein Stolz kannte keine Grenzen mehr
als man mir als Elfjährigem erlaubte, bei der Ernte "weiter zu fahren", d.h. die
Pferde vor dem Erntewagen am langen Zügel von Stiege zu Stiege zu führen, damit
das Getreide aufgeladen werden konnte.
Ein Bild meines Großvaters habe ich heute noch so deutlich vor Augen, daß ich
es malen könnte, wenn ich diese Kunst beherrschte: Wir waren aus der Kirche
zurückgekommen und Oma bereitete das Mittagessen an dem, in die Wand
eingelassenen, und wie ein Schrank mit Türen zu verschließenden Herd, vor.
Ich saß auf der Ofenbank am Kachelofen und schrieb an meinem, leider
verlorengegangenen, Tagebuch. Am Fenster saß Opa auf einem Stuhl. Den langen
schwarzen Rock hatte er abgelegt. Er trug nur noch die schwarze Sonntagshose,
die langen, blitzblanken Stiefel, die schwarze Weste und ein langärmliges,
schönes weißes Hemd. Auf den Knien hatte er die Bibel liegen.
Die Sonne schien auf sein weißes Haar und das Gesicht mit dem
großenSchnauzbart. Der Kopf war leicht nach links gedreht, da er nur auf dem
rechten Auge sehen konnte. Weil ihm das linke in jungen Jahren von einer Magd
bei der Heuernte mit der Forke ausgestochen worden war, mußte er das rechte Auge
dem Buch zuwenden. Er las aber noch ohne Brille. Ich weiß noch,daß mir vor dem
Bilde dieses gütigen Patriarchen, von dem ich nie ein lautes oder böses Wort
hörte, der immer ein Lächeln in den Mundwinkeln hatte, und aus dessen einem Auge
der Schalk blitzte, ganz warm ums Herz wurde.
Oma stand ganz im Schatten ihres Mannes. Während Opa groß und breitschultrig
war, war Oma eine kleine, liebe aber auch resolute, verarbeitete Frau. Außer
Salz kaufte sie kaum Lebensmittel ein. Das Brot wurde von ihr selbst gebacken.
Den Sauerteig bereitete sie selbst zu und knetete den
Brotteig in einer großen, aus einem Baumstamm ausgeschlagenen Wanne. Kreisrunde,
riesige Brotlaibe buk sie, die herrlich dufteten und in großen Steinfässern, die
in einem kleinen Keller, der über eine Leiter durch eine Bodenluke zu erreichen
war, aufbewahrt wurden.
Hier stand auch das Gerstenbier, das sie selbst braute, ebenso wie der
Himbeersaft, wofür sie die Beeren im Walde sammelte. Dazu zog sie lange, alte
Strümpfe, von dem ein Stück der Spitze abgeschnitten war über Hände und Arme, da
Himbeeren sich dummerweise sehr gut mit Brennesseln vertragen und fast immer mit
ihnen zusammen wachsen. Die Butter machte sie aus dem Teil der Milch, die sie
für ihre Arbeit bekam, selbst.
Die Milch wurde aber nicht in festen Mengen zugeteilt, sondern die beiden
hatten eine, dem Bauern gehörende Kuh im Stall stehen, und die Milch, die sie
gab, war eben die ihre. Es wurde aber nur selten Butter gegessen, meistens gab
es Schmalz, das auch in großen Fässern im Keller stand.
Etwas besonders Gutes waren die Steinfässer voller Klopse, die, um sie vor
dem Verderben zu schützen, auch mit Schmalz übergossen wurden und herrlich
schmeckten. Daß alle Fleisch- und Wurstwaren von Oma selbst zubereitet wurden,
ist selbstverständlich. Aber auch fast die gesamten Textilien wurden, von der
Flachsernte bezw. der Schafschur über das Hecheln, Spinnen bis zum Weben und
Stricken, von ihr selbst hergestellt. Ich weiß nicht, wo sie die Zeit hernahmen,
den ganzen Tag auf dem Hof zu arbeiten, alle diese Dinge zu tun und noch 12
Kinder großzuziehen.
Das Häuschen, in dem die beiden zusammen mit Tante Hannchen und Onkel August
wohnten, war ein kleines, eingeschossiges weißes Häuschen mit rotem Dach. An
beiden Längsseiten waren die Eingänge zu den Wohnungen. Diese waren getrennt,
aber durch den Kamin, die sogenannte "schwarze Küche" verbunden.
Die schwarze Küche war ein quadratischer Raum, der nach oben hin in den
Schornstein auslief und in den alle Ofenrohre und Kachelofenanschlüsse mündeten.
Von jeder Wohnung aus hatte er einen Zugang.
Da nur mit Holz oder Torf geheizt wurde, war das gleichzeitig die
Räucherkammer, in der Wurst, Schinken, Speck und Gänsebrüste hingen.
Die eigentliche Wohnung bestand nur aus zwei Zimmern, der großen und der
kleinen Kammer. In der großen Kammer wohnte man. Eingerichtet war sie wie folgt:
Gleich links neben der Tür stand ein niedriges kleines Schränkchen, auf dem ein
Detektor-Kopfhörer-Radio stand, das mein Vater gebaut und seinen Eltern
geschenkt hatte. Als Antenne diente ein Kupferdraht, der (...) quer durch das
Zimmer gespannt war.
Ich erinnere mich im Zusammenhang mit dem Radio daran, daß Oma sich nicht
genug darüber wundern konnte, einen Mann sprechen zu hören, der in Königsberg
redete. Es war natürlich auf dem
in einer Zigarrenkiste installierten Gerät nur der Reichssender Königsberg zu
empfangen.
Doch weiter zur großen Kammer: Rechts der Tür war der Herd in die Wand
eingelassen, dessen oberer Teil durch eine Tür wie ein Schrank zu verschließen
war. Daneben stand der große Kachelofen, der von einer breiten Ofenbank umgeben
war, auf der Oma meistens saß und Strümpfe stopfte, wenn sie am Sonntag Zeit
dazu hatte. An der gegenüberliegenden Wand stand das Bett von Oma und Opa mit
riesigen Federbetten. Die Matratze war ein Strohsack, der jedes Jahr neu gefüllt
wurde. Darauf lag ein dickes Federbett und darüber ein noch dickeres Oberbett.
In diesem Bett fand man sich selbst nicht wieder.
Auf der anderen Seite des Fensters stand an der gleichen Wand ein großer
Geschirrschrank. Vervollständigt wurde die Ausstattung durch einen Eichentisch
mit vier Stühlen davor. Die Einrichtung der kleinen Kammer ist mir leider nicht
mehr in Erinnnerung. Ich weiß nur noch, daß darin mein Bett stand und im
Fußboden war die Luke, durch die man in den kleinen Keller einsteigen konnte.
Die zweite Wohnung war genauso angelegt, und ich erinnere mich noch daran daß
hier, da mehrere Kinder da waren, um den Tisch Bettkästen standen, die
zugeklappt, Bänke waren und, in denen bei hochgeklappter Sitzfläche die Kinder
schliefen. Außerdem stand hier eine, mir riesengroß erscheinende Wiege.
Vom Stall aus gelangte man über eine Leiter auf den Söller. Das war bei
schlechtem Wetter mein liebster Spielplatz. Was war da nicht alles zu finden.
Beherrscht wurde der Raum durch den großen Webstuhl. Dann standen hier noch
Spinnräder, Hecheln, Butterkirnen, Scherbäume und allerlei altes Gerät. Oma und
Opa erklärten mir, wenn sie Zeit hatten, unermüdlich die Handhabung
all dieser Geräte.
Vor dem Hause war ein kleiner, mit Feldsteinen gepflasterter Platz, an dem ein
Feldweg vorbeiführte. Gleich daran schloß sich eine große Koppel an, in der ein
großer, flacher Teich war. Das Wasser war etwa 30 cm tief und von Gras- und
Binsenbüscheln durchsetzt. Opa nagelte mir an einen alten, hölzernen Futtertrog
zwei Ausleger und damit durfte ich dann auf dem "großen Poggenteich" (großen
Froschteich) Kahn fahren.
An einer Stirnseite des Hauses lag ein kleiner Garten, in dem auch das
berühmte Herzhäuschen stand. Wenn die unter das Sitzbrett gestellte Kiste, die
auf Schlittenkufen montiert war, voll war, wurde der Inhalt gleich im Garten
verarbeitet.
Mit dem Garten machten sich meine Großeltern nicht viel Arbeit. Es war
weitgehend ein Kräutergarten. Außerdem lag darin der "kleine Poggenteich", ein
Tümpel von etwa 3 m Durchmesser.
Damit ist die Welt, in der die Eltern meines Vaters lebten, und die ich das
Glück hatte - wenn auch nur für einen Sommer - zu erleben, schon geschildert.
Von Opa weiß ich nur noch, daß er in jungen Jahren als Fischer auf dem
Groß-Lauterer See arbeitete und sich dann später auf dem Hof "Heinrichs" zu
verdingte. Hier arbeitete auch mein Vater, bis er im ersten Weltkrieg Soldat
wurde. Kurz nach dem Krieg gingen Opa und Oma dann mit Tochter und Schwiegersohn
auf den Abbau Wedig.
Dort wohnten sie auch noch als der zweite große Krieg ausbrach, und auch noch
als er zuende ging und dieses Land polnisch wurde.
Von den letzten Tagen und Wochen dieser beiden prächtigen Menschen ist nicht
mehr viel bekannt. Nur soviel habe ich erfahren können: Der Bauer Wedig, der
gleichzeitig Ortsbauernführer der NSDAP war, wurde mit seiner Familie von den
Russen erschossen.
Oma und Opa wurden, etwa Anfang November 1945 ohne jedes Gepäck - sie waren
damals 73 und 71 Jahre alt - in Unterwäsche zum zum Bahnhof transportiert und in
Güterwagen verladen. Irgendwo, unterwegs, starb Oma. Die Tote wurde aus dem Zug
geworfen und an einem Bahnwärterhaus bei Küstrin beerdigt. Opa lebte nur noch
wenige Tage und starb angeblich in einem Lager in Plau, wahrscheinlich an
Typhus.
Auf Erkundigungen von Bekannten im gleichen Lager wurde von der polnischen
Lagerleitung nur geantwortet: "Heute Nacht sind einige Männer gestorben, es kann
sein, daß er dabei ist. Meine eigenen Nachforschungen blieben erfolglos. Vater
ließ, als er diese Nachricht bekam, seine Eltern offiziell für tot erklären. Als
Todestag wurde der 9.November 1945 festgesetzt.
R.I.P.
Über das Wüten der Roten Armee im Jahre 1945, die Zwischenzeit bis zur
Vertreibung der deutschen Bevölkerung durch die Polen und über die näheren
Umstände des Todes von Josef Kastilan und Anna Lippki berichtet ein Brief, der
vermutlich von der Ehefrau des Bruders der Anna Lippki verfasst wurde:
"(...) ausgegeben. Du suchst Du suchtst Frau Brahl aus Essen durch Wohnungsamt
und die haben ihr einen falschen Namen geschickt und die ließ nicht nach bis sie
richtige bekommen und die Rosa wußte doch von Mita aus die Adresse und so haben
wir uns alle gefunden.
Von Anton wußten wir auch erst als uns Anni schrieb und unsre Annche ist tot
das wißt Ihr ja wohl. Die ist schon drei Jahre tot. Die hat geheitat und was
Kleines. Da bekam sie Kindbettfieber. Da starb nach 14 Tage das Kind und die
gleich nach. Die wohnte in Rössel da bracht ich mich auch halbum.
Heute sagt ich schon paarmal Gottseidank. Ich habe und Anton auch zum lieben
Gott gebet und auch zum hl. Antonius geopfert er soll uns die Kinder suchen wenn
sie am leben sind und unser Gebet wurde erhört.
Ich danke dem lieben Gott das unser Kinder nicht in Russenhände geraten sind.
Ach ihr liebe Ihr habt garkeinen Begriff wie die Bestien reinkommen. Mich wollte
sogar einer vornehmen aber da war es doch wohl verboten. Als ich nicht ging da
ließ er mir sein.
Anton war 10 Wochen weg von mir ich war mit Frau Behlau ganz allein. Aus
Landsberg bis Rastenburg zimlich trüben sie uns wie das liebe Vieh aber Anton
lief davon und war innerhalb 4 Wochen zu Hause und ich kam nach Schöneberg. Wir
wußten einer vom andern nicht bis später. Da kam uns Onkel Kastilan holen. Wir
kannten ihn bald nicht in der Aufregung wie wir waren. Anton arbeitete bei
Wedigs bei Russen. Euer Eltern waren bei Beckmanns. Nachher zogen die Russen
nach Teistimmen und ich mit. Da waren wir ganze zeitlang.
Onkel K. kam uns immer besuchen und ich konnte ihm immer was zu essen
mitgeben. Ich war in der Küche und wir kochten für Deutsche. Da haben wir sehr
gut gelebt. Mittagüber ging ich viel hin brachte ihn alles mögliche. Hungern
brauchten sie nicht.
Nachher zogen die Russe ab da zogen wir alle bei Wedigs. Uns hat keiner Russe
nichts bei Wedigs genommen auch kein Pole. Ich fertigte sie immer ab. Muttche
war so froh die ließ mich am liebsten nicht aus der Stube. Ach wir lebten so
schön, wir haben von allem gehabt. Hönig brachte der Anton aus dem Wald.
Beckmanns hatten soviel weshalb sollten die gerade allein das essen. Unsres war
ja auch alles weg. Wir haben eine Kanne von 20 Lt. Honig noch vergraben auch
K.Fleisch (?) das wird noch drin stehen auch Kleider, aber wenn wir nichts
sollten haben brauchte auch der Pole nicht.
Also meine lieben vom Vater tuts uns heute noch leid. Ich war jetzt noch mal
auf dem Standesamt aber er ist in keiner Liste drin. Bis Plau haben wir ihn
gebracht. Das war in der Nacht wir konnten dem Wagen nicht folgen und morgens
früh müßten wir nach hier fahren und Anton fand Vater nicht. Paar Frauen sagten
da sind paar Männer gestorben der wird dabei gewesen sein der war ja schon halb
tot. Er sagte noch liebes Weibchen hol mich doch. Ich sagte sei zufrieden du
wirst bald erlöst und M.  ist an einem Wärterhaus vor Küstrin beerdigt. M. ist
sehr gut und leicht gestorben ich wischt ihr noch den Schweiß ab und da sagte
sie noch wo ist Anton mein Bruder das wär ich nicht vergessen.
Ach wenn ich an das denke. Vir Wochen sind wir gefahre gehungert gefroren
waren alles beraubt. Ach ich wär euch andrmal mehr schreiben.
Wenn wir uns mal aussprechen könnte wär besser aber die Hannche ist nicht weit
von uns die war am Sonntag uns besuchen. Ich sah sie schon von weitem und wir
weinten schon unterwegs. Der gehts auch schlecht. Die will bei seinen Mann und
hat kein Geld. Ich gab ihr auch etwas die andre könnte ihr was helfen.
Original im Familienarchiv unter AZ 16 abgelegt. Im Text wurde die
Interpunktion ergänzt.
Original im Familienarchiv unter AZ 17 abgelegt. Text ist leicht korrigiert,
die Interpunktion ergänzt.
vgl. dazu den folgenden Brief.
Original im Familienarchiv unter AZ 16 abgelegt. Der Text, der ohne jede
Interpunktion geschrieben wurde ist leicht korrigiert wiedergegeben. Der Brief,
aus dem die ostpreußische Mundart spricht, ist nicht ganz vollständig, die erste
und letzte Seite fehlt wohl Auf einem beiliegenden Umschlag ist vermerkt: Anton
Lippki, Plauerhagen über Plau, bei Schröder, Kreis Parchim, Mecklenburg.
Vermutlich die derzeitige Anschrift der Verfasserin.
Josef Kastilan
Maria Kastilan
Plau, am Plauer See, 30 km ostwärts Parchim in Mecklenburg
Muttchen, Maria Kastilan
Oma Ostpreußen, AZ 17)

* 8 Uhr abends, + b.d.Vertreibung durch die Polen an Ent-
kräftung u. möglw.Typhus. Amtlich für tot erklärt
wurde in der Familie "Opa Ostpreußen" genannt
Josef Kastilan wird am 3. März 1872 um acht Uhr abends als zweites der sieben
Kinder von Josephus Kastilahn und dessen Frau Anna Masuch zur Welt. Die Hebamme
bekommt 1 Silbergroschen und vier Pfennig.Sein Geburtsort ist das Ostpreußische
Dorf Porwangen, das etwa 6 km westlich von Lautern gelegen ist.
Am 6.März 1872 wird er getauft. Seine Paten sind der Instmann Andreas Rex aus
Wangst und die Magd Catharina Kastilan aus Schöneberg.
Josef Kastilan arbeitet zunächst auf einem Hof in Porwangen, bevor er auf dem
Heinrichshof in Kekitten als Landarbeiter beschäftigt wird. Im Winter fischt er
auf dem Großlauterer See. Das Fischrecht für einen Teil des Sees liegt, wie
erzählt wird, auf dem Heinrichshof.
Im Alter von 25 Jahren (1897) wird ihm von einer Magd beim Aufladen von Heu
sein linkes Auge mit einer Heugabel beschädigt und erblindet. Josef Kastilan
wird deshalb auch kein Soldat.
Nach dem ersten Weltkrieg zieht er mit seiner Familie auf den Abbau Wedig , wo
sie bis zur Vertreibung im November 1945 lebt. Gleichzeitig holt er seinen
Schwiegersohn, August Schimmelpfennig , dorthin; sie leben in einem Haus.
Anna Lippki wird am 24. Juli 1874 in Kekitten geboren. Ihre Eltern sind der
Landarbeiter Antonius Lippki und Maria Kastilahn. Ihre Mutter und ihr
Schwiegervater haben in Martinus Castilahn und Gertrud Langhals (256 u. 257)
gemeinsame Ur-Ur-Großeltern.
Der Lippkihof in Kekitten war so klein, daß Anna und ihr Bruder Anton auf dem
Heinrichshof arbeiteten.
Anna Lippki schenkt ihrem Mann insgesamt 13 Kinder:
1. Kastilan, Franz * 06.08.1894 + 11.05.1955 oo 14.10.1923 mit Ottile
Goertz
2. Kastilan, Joseph * um 1896
3. Kastilan, Maria * um 1898
4 . Kastilan, Änne * 07.12.1903
5. Kastilan, Agathe * 00.10.1905
6. Kastilan, Elisabeth * 27.11.1908
7. Kastilan, Berta * 20.01.1910
8. Kastilan, Rosa * 14.02.1911
9. Kastilan, Johanna * 21.11.1912 oo mit August Schimmelpfennig
10.Kastilan, Lucie * 14.01.1913
11.Kastilan, Martha * um 1914
12.Kastilan, Leo * um 1915
13.Kastilan, Hedwig * um 1916
Als ich der älteste Sohn, Franz Kastilan im fernen Ruhrgebiet verheiratet,
schreibt Josef Kastilan an seine ihm unbekannte Schwiegertochter einen Brief:
"Kekitten, 7.10.23
Liebe Schwiegertochter!
Deinen Brief haben wir erhalten, und daraus ersehen, daß Du unseren Sohn Franz
zu Deinem Mann erwählt hast. Liebe Tochter! Wir haben dagegen nichts
einzuwenden, denn wir ersehen das schon aus dem Briefe, daß er keine schlechte
Lebensgefährtin bekommen kann. Wir haben Dich von Stund an in unsere Familie
eingeschlossen und wolle Dich als unsere eigene Tochter achten.
Die Hochtzeitseinladung haben wir gestern erhalten, nur schade, daß es so
schlecht in der Welt ist, sö währen wir doch wenigstens einer gekommen. Da es
nun aber einmal nicht sein kann, so wünschen wir auch denn das größte Glück zu
Eurem späteren Leben, so Gott will, dann sehen wir uns dort einmal wieder.
Liebe Schwiegertochter! Vielleicht haben wir zu Weihnachten schon etwas bessere
Zeiten, dann kommt Ihr beide zu und herüber.
Franz mag auch wieder keine Strümpfe haben, Mutter hat wieder Wolle für ihn
besorgt, aber wie bekommt man sie bei Euch hin? Grüße doch Franz von uns, und
sage ihm, daß wir die Kartoffeln schon heraus haben, sie sind wieder
einigermaßen geworden.
Die Gänse füttern wir auch schon, und das Schwein werden wir zu Weihnachten
schlachten, und dann, wenn Ihr kommt, dann werden wir die Hochzeit noch einmal
feiern.
Sonst währe ja hier alles beim alten, die Teuerung nimmt von Tag zu Tag zu, ein
Pfund Butter kostet hier schon 45 - 50 Milion, 1 Ei 4 Milion und wenn man an
Kleidungsstücken etwas kaufen will, da wollen sie an Geld garnicht einmal
nehmen, da wollen sie nur Butter und Eier und Getreide. Für ein Paar Stiefel
versohlen verlangen sie schon 16 .?. Roggen, also man weiß hier bald nicht mehr,
wie man sich decken soll. Wenn man hier nichts kann von der Landwirtschaft
aufbringen, so muß man essen wie es gewachsen ist.
Liebe Ottilie! Hoffentlich wird es jetzt doch Franz auch besser haben, denn das
fiele Kostgeld geben kann doch auch nicht mehr fiel sein-
Also liebe Schwiegertochter und lieber Sohn, wir wünschen euch nochmals viel
Glück und wir grüßen Euch alle recht herzlich.
Eure Euch liebenden Eltern, Geschwister und Schwägerinnen
Grüßt doch auch Deine Eltern recht schön von uns und auch unserer Maria und
Familie Kastilan."
Auch ein Brief von Oma Ostpreußen ist erhalten. Sie berichtet darin der in
Herne lebenden Familie ihres Sohnes Franz einige Geburts-, Tauf- und
Heiratsdaten (die wohl zum Nachweis der damals geforderten sogenannten "arischen
Abstammung" notwendig waren) und von den Schwierigkeiten diese zu beschaffen:
"Kekitten, den 6.12.37
Meine Lieben alle
(...) mit den Papieren macht es uns wirklich sehr Schwierigkeiten, weil Schnee
gefallen ist und es ist glatt zum Radfahren für den Vater. Und denn schlagen die
Herrn Geistlichen nicht ein Buch auf ohne Geld. Die sind noch schlimmer wie
Juden nach dem Geld. Voriges mal da wollte dir der Herr Pfarrer die Papiere per
Nachnahme schicken, aber der Vater sagt ich bezahle es selbst.
Und meine Lieben,hier ist noch so alles beim alten. Jetzt haben wir auch auf
einen Zettel für 2M 50 Holz zusammengekriegt. Zu lesen da waren wir, ich und
Vater erste Woche im Wald und nun kam der Schnee und nun liegt es. 3 mal holten
wir schon zu fahren,aber jetzt können wir nicht. Und mit dem Wasser war es noch
nicht so knapp wie dieses Jahr. Waschen kann man überhaupt nicht viel, aber man
muß zufrieden sein. Nun sind wir alt, wo soll man hin? Hier arbeitet der Vater
noch die Miete ab. Bis 1. April hat er sie schon jetzt abgearbeitet. Und so
kostet das kleinste Stübchen schon 10 M pro Monat. Was bleibt uns dann noch viel
zum Leben übrig?
Also meine Lieben, nun Schluß für heute. Und wünschen auch ein frohes
Weihnachtsfest und daß Ottilie alles glücklich überstanden hat."
Einen guten Eindruck von diesen beiden Menschen, der Zeit und der Landschaft,
in der sie lebten und den Umständen , unter denen sie umkamen, gibt ein Aufsatz,
den Franz Hubert Josef Kastilan, ihr Enkelsohn, kurz vorseinem Tode verfaßte:
"Geschichte(n) einer Familie
Bevor mich der Herrgott aus dieser Welt ruft, möchte ich noch das, was ich von
den Menschen die mit mir, und vor allem vor mir lebten, weiß, was ich von dem
Land der Väter (und der Mütter) sehen durfte, für alleZeiten festhalten.
Ich möchte keine Chronik schreiben, sondern das, was ich erleben durfte, in
Geschichten und Reportagen aus der Erinnerung festhalten.
Erinnerungen sind jedoch nicht ganz frei von Gloriolen und rosaroter Farbe.
Trotzdem werde ich mich bemühen, so gut es meine Kräfte erlauben, historisch
getreu, doch subjektiv empfunden, meine Erlebnisse, die "Geschichte(n) einer
Familie" zu schreiben.
Geschichte(n) einer Familie
Ermlandsommer
Vielleicht bin ich der letzte gewesen, der von meinem Geschlecht die Heimat
meines Vaters und seiner Vorfahren, das Ermland, dieses Dreieck um Allenstein in
Ostpreußen, erleben durfte.- Aber auch nur erleben durfte inen Sommer lang.
Ich möchte beginnen mit der Schilderung dieses Landes, so wie ich es in der
Erinnerung habe, und diese Erinnerungen sind die lebhaftesten meines
Lebens.Dieser Sommer 1935, den ich im Hause von "Oma und Opa Ostpreußen" - so
nannten wir Kinder die Eltern meines Vaters - verleben durfte, hinterließ so
tiefe Eindrücke in mir, wie wesentlich spätere Abschnitte meines Lebens nicht
mehr.
Das erste Bild, das diese Landschaft schon auf der Fahrt nach Rothfließ, der
Bahnstation etwa 15 km von Kekitten entfernt, mir einprägte, waren Wälder und
Seens. Seen, so blau, wie ich mir vorher Seen überhaupt nicht vorzustellen
vermochte, und Wälder so groß, so tief, daß man stundenlang hindurchfahren
konnte. Es gab sanft gewellte Sandberge, die häufig von einem kleinen Wäldchen
gekrönt wurden, und Felder, Wiesen und saubere Dörfer.
Oma und Opa holten mich mit der Kutsche des Bauern Wedig, bei dem sie als
Instleute arbeiteten, vom Bahnhof ab. Das war schon ein tolles Erlebnis, mit
Pferd und Wagen durch die riesigen Wälder (zu fahren). Ich erinnere mich, wenn
ich an diese Fahrt denke, eigentlich nur an Wälder.
Die Straßen waren zu der Zeit geschottert, ohne feste Decke und mit einem
(etwa) 2 m breiten Sandweg an der Seite, dem "Sommerweg", auf dem die Fuhrwerke
fuhren.
Das Dorf Kekitten lag am Südufer des Groß-Lauterer Sees und war ein kleines
Nest von etwa 300 Einwohnern. Die Häuser waren entlang der Ufersstraße
angesiedelt, es war also ein Reihendorf. Meines Wissens lag im Dorf selbst nur
ein großer Hof, der Hof Heinrichs. Die übrigen großen Höfe und Güter lagen
abseits des Dorfes als sogenannte "Abbaue".
Die Dorfbewohner waren neben einem kleinen Krämer, den üblichen Handwerkern
und einigen Fischern fast alle kleine Käthner.
Im Dorf war die Häuserzeile zur Seeseite hin an einer Stelle unterbrochen und
ließ einen Strand frei, der der Dorfjugend zum Baden und den Frauen zum Wäsche
waschen diente. Er wurde außerdem hin und wieder als Pferdeschwemme benutzt. Ich
erinnere mich, daß man mir, als ich zum erstenmal an dieser Stelle baden wollte,
etwa 200 m vom Ufer entfernt einen im Wasser stehenden Pfahl zeigte, und mir
klar machte, daß kein Mensch weiter ins Wasser hineingehen könne, denn dort
beginne das "Schwarze Wasser" und jeder, der dort hineingerate, müsse ertrinken.
Das Wasser sei zu kalt.
Tatsächlich erschien das Wasser von dieser Stelle ab wesentlich dunkler zu
sein. In Wahrheit fiel hier der Seegrund steil ab und man wollte durch allerlei
Geschichten verhindern, daß Kinder ins tiefe Wasser, das in der Tat kälter war
als das am Badestrand, hineingerieten.
Etwa 2 km vor dem Dorf, an der Straße nach Seeburg, war schon ein Freibad
angelegt mit einem aus Baumstämmen errichteten Sprungturm und einem Bootssteg.
Dieser Platz war auch die eigentliche Pferdeschwemme, zu der die Pferde fast
jeden Abend getrieben wurden um die Tiere baden zu lassen.
Etwa 8 km in der anderen Richtung, auf der gegenüberliegenden Seeseite lag das
Kirchdorf Lautern. Am Sonntag gingen die einfachen Leute zu Fuß nach Lautern.
Die Bauern fuhren mit Kutschwagen und einige auch schon mit dem Auto zur Kirche.
Nach der Messe trafen sich dann alle im Dorfkrug, der gleichzetig ein großer
Kaufladen war. Dort wurden Neuigkeiten ausgetauscht und die Einkäufe für die
nächste Woche getätigt. Man konnte hier alles kaufen, angefangen von den
Lebensmitteln bis zum Pferdegeschirr. Oma kaufte aber nur Salz und Zucker, alles
andere wurde zu Hause selbst erzeugt
Oma und Opa, sie war damals 61 und Opa 63 Jahre alt, arbeiteten und wohnten
nicht im Dorf, sondern etwa 2,5 km südlich auf dem Abbau Wedig. Von
Sonnenaufgang bis zum späten Abend waren beide auf dem Hof tätig. Dafür stellte
ihnen der Bauer ein kleines Häuschen, in dem auch noch Tante Hannchen und Onkel
August wohnten, die ebenfalls auf dem Hof arbeiteten, zur Verfügung.
Die übrige Bezahlung erfolgte fast ausschließlich in Naturalien. Die meisten
Mahlzeiten nahmen sie auch im Gesindezimmer des Hofes ein.
Außer Oma und Opa, nebst Schwiegersohn und Tochter, arbeiteten auf dem Hof
noch der Pferdeknecht Josef, der in einer kleinen Kammer über dem Pferdestall
schlief, und eine Magd. Die Sonntagsarbeit auf dem Hof wurde von diesen beiden
gemacht, sodaß die Instleute frei hatten, außer in der Ernte.
Da Herr Wedig bereits ein Auto hatte - einen DKW-Meisterklasse -durften Oma
und Opa sonntags mit der Kutsche in die Kirche fahren. Das Verhältnis meiner
Großeltern zu der Familie des Bauern war sehr herzlich und auch ich wurde in
dieser Zeit gehalten wie die beiden eigenen Jungen, die etwas älter als ich
waren.
Wir spielten miteinander auf dem Hof, und am Abend durften wir zwei alle
braven Pferde, den "Peter" und den "Meister" auf die Koppel hinaus reiten - für
mich als Stadtjunge eine ungeheure Sache. Mein Stolz kannte keine Grenzen mehr
als man mir als Elfjährigem erlaubte, bei der Ernte "weiter zu fahren", d.h. die
Pferde vor dem Erntewagen am langen Zügel von Stiege zu Stiege zu führen, damit
das Getreide aufgeladen werden konnte.
Ein Bild meines Großvaters habe ich heute noch so deutlich vor Augen, daß ich
es malen könnte, wenn ich diese Kunst beherrschte: Wir waren aus der Kirche
zurückgekommen und Oma bereitete das Mittagessen an dem, in die Wand
eingelassenen, und wie ein Schrank mit Türen zu verschließenden Herd, vor.
Ich saß auf der Ofenbank am Kachelofen und schrieb an meinem, leider
verlorengegangenen, Tagebuch. Am Fenster saß Opa auf einem Stuhl. Den langen
schwarzen Rock hatte er abgelegt. Er trug nur noch die schwarze Sonntagshose,
die langen, blitzblanken Stiefel, die schwarze Weste und ein langärmliges,
schönes weißes Hemd. Auf den Knien hatte er die Bibel liegen.
Die Sonne schien auf sein weißes Haar und das Gesicht mit dem
großenSchnauzbart. Der Kopf war leicht nach links gedreht, da er nur auf dem
rechten Auge sehen konnte. Weil ihm das linke in jungen Jahren von einer Magd
bei der Heuernte mit der Forke ausgestochen worden war, mußte er das rechte Auge
dem Buch zuwenden. Er las aber noch ohne Brille. Ich weiß noch,daß mir vor dem
Bilde dieses gütigen Patriarchen, von dem ich nie ein lautes oder böses Wort
hörte, der immer ein Lächeln in den Mundwinkeln hatte, und aus dessen einem Auge
der Schalk blitzte, ganz warm ums Herz wurde.
Oma stand ganz im Schatten ihres Mannes. Während Opa groß und breitschultrig
war, war Oma eine kleine, liebe aber auch resolute, verarbeitete Frau. Außer
Salz kaufte sie kaum Lebensmittel ein. Das Brot wurde von ihr selbst gebacken.
Den Sauerteig bereitete sie selbst zu und knetete den
Brotteig in einer großen, aus einem Baumstamm ausgeschlagenen Wanne. Kreisrunde,
riesige Brotlaibe buk sie, die herrlich dufteten und in großen Steinfässern, die
in einem kleinen Keller, der über eine Leiter durch eine Bodenluke zu erreichen
war, aufbewahrt wurden.
Hier stand auch das Gerstenbier, das sie selbst braute, ebenso wie der
Himbeersaft, wofür sie die Beeren im Walde sammelte. Dazu zog sie lange, alte
Strümpfe, von dem ein Stück der Spitze abgeschnitten war über Hände und Arme, da
Himbeeren sich dummerweise sehr gut mit Brennesseln vertragen und fast immer mit
ihnen zusammen wachsen. Die Butter machte sie aus dem Teil der Milch, die sie
für ihre Arbeit bekam, selbst.
Die Milch wurde aber nicht in festen Mengen zugeteilt, sondern die beiden
hatten eine, dem Bauern gehörende Kuh im Stall stehen, und die Milch, die sie
gab, war eben die ihre. Es wurde aber nur selten Butter gegessen, meistens gab
es Schmalz, das auch in großen Fässern im Keller stand.
Etwas besonders Gutes waren die Steinfässer voller Klopse, die, um sie vor
dem Verderben zu schützen, auch mit Schmalz übergossen wurden und herrlich
schmeckten. Daß alle Fleisch- und Wurstwaren von Oma selbst zubereitet wurden,
ist selbstverständlich. Aber auch fast die gesamten Textilien wurden, von der
Flachsernte bezw. der Schafschur über das Hecheln, Spinnen bis zum Weben und
Stricken, von ihr selbst hergestellt. Ich weiß nicht, wo sie die Zeit hernahmen,
den ganzen Tag auf dem Hof zu arbeiten, alle diese Dinge zu tun und noch 12
Kinder großzuziehen.
Das Häuschen, in dem die beiden zusammen mit Tante Hannchen und Onkel August
wohnten, war ein kleines, eingeschossiges weißes Häuschen mit rotem Dach. An
beiden Längsseiten waren die Eingänge zu den Wohnungen. Diese waren getrennt,
aber durch den Kamin, die sogenannte "schwarze Küche" verbunden.
Die schwarze Küche war ein quadratischer Raum, der nach oben hin in den
Schornstein auslief und in den alle Ofenrohre und Kachelofenanschlüsse mündeten.
Von jeder Wohnung aus hatte er einen Zugang.
Da nur mit Holz oder Torf geheizt wurde, war das gleichzeitig die
Räucherkammer, in der Wurst, Schinken, Speck und Gänsebrüste hingen.
Die eigentliche Wohnung bestand nur aus zwei Zimmern, der großen und der
kleinen Kammer. In der großen Kammer wohnte man. Eingerichtet war sie wie folgt:
Gleich links neben der Tür stand ein niedriges kleines Schränkchen, auf dem ein
Detektor-Kopfhörer-Radio stand, das mein Vater gebaut und seinen Eltern
geschenkt hatte. Als Antenne diente ein Kupferdraht, der (...) quer durch das
Zimmer gespannt war.
Ich erinnere mich im Zusammenhang mit dem Radio daran, daß Oma sich nicht
genug darüber wundern konnte, einen Mann sprechen zu hören, der in Königsberg
redete. Es war natürlich auf dem
in einer Zigarrenkiste installierten Gerät nur der Reichssender Königsberg zu
empfangen.
Doch weiter zur großen Kammer: Rechts der Tür war der Herd in die Wand
eingelassen, dessen oberer Teil durch eine Tür wie ein Schrank zu verschließen
war. Daneben stand der große Kachelofen, der von einer breiten Ofenbank umgeben
war, auf der Oma meistens saß und Strümpfe stopfte, wenn sie am Sonntag Zeit
dazu hatte. An der gegenüberliegenden Wand stand das Bett von Oma und Opa mit
riesigen Federbetten. Die Matratze war ein Strohsack, der jedes Jahr neu gefüllt
wurde. Darauf lag ein dickes Federbett und darüber ein noch dickeres Oberbett.
In diesem Bett fand man sich selbst nicht wieder.
Auf der anderen Seite des Fensters stand an der gleichen Wand ein großer
Geschirrschrank. Vervollständigt wurde die Ausstattung durch einen Eichentisch
mit vier Stühlen davor. Die Einrichtung der kleinen Kammer ist mir leider nicht
mehr in Erinnnerung. Ich weiß nur noch, daß darin mein Bett stand und im
Fußboden war die Luke, durch die man in den kleinen Keller einsteigen konnte.
Die zweite Wohnung war genauso angelegt, und ich erinnere mich noch daran daß
hier, da mehrere Kinder da waren, um den Tisch Bettkästen standen, die
zugeklappt, Bänke waren und, in denen bei hochgeklappter Sitzfläche die Kinder
schliefen. Außerdem stand hier eine, mir riesengroß erscheinende Wiege.
Vom Stall aus gelangte man über eine Leiter auf den Söller. Das war bei
schlechtem Wetter mein liebster Spielplatz. Was war da nicht alles zu finden.
Beherrscht wurde der Raum durch den großen Webstuhl. Dann standen hier noch
Spinnräder, Hecheln, Butterkirnen, Scherbäume und allerlei altes Gerät. Oma und
Opa erklärten mir, wenn sie Zeit hatten, unermüdlich die Handhabung
all dieser Geräte.
Vor dem Hause war ein kleiner, mit Feldsteinen gepflasterter Platz, an dem ein
Feldweg vorbeiführte. Gleich daran schloß sich eine große Koppel an, in der ein
großer, flacher Teich war. Das Wasser war etwa 30 cm tief und von Gras- und
Binsenbüscheln durchsetzt. Opa nagelte mir an einen alten, hölzernen Futtertrog
zwei Ausleger und damit durfte ich dann auf dem "großen Poggenteich" (großen
Froschteich) Kahn fahren.
An einer Stirnseite des Hauses lag ein kleiner Garten, in dem auch das
berühmte Herzhäuschen stand. Wenn die unter das Sitzbrett gestellte Kiste, die
auf Schlittenkufen montiert war, voll war, wurde der Inhalt gleich im Garten
verarbeitet.
Mit dem Garten machten sich meine Großeltern nicht viel Arbeit. Es war
weitgehend ein Kräutergarten. Außerdem lag darin der "kleine Poggenteich", ein
Tümpel von etwa 3 m Durchmesser.
Damit ist die Welt, in der die Eltern meines Vaters lebten, und die ich das
Glück hatte - wenn auch nur für einen Sommer - zu erleben, schon geschildert.
Von Opa weiß ich nur noch, daß er in jungen Jahren als Fischer auf dem
Groß-Lauterer See arbeitete und sich dann später auf dem Hof "Heinrichs" zu
verdingte. Hier arbeitete auch mein Vater, bis er im ersten Weltkrieg Soldat
wurde. Kurz nach dem Krieg gingen Opa und Oma dann mit Tochter und Schwiegersohn
auf den Abbau Wedig.
Dort wohnten sie auch noch als der zweite große Krieg ausbrach, und auch noch
als er zuende ging und dieses Land polnisch wurde.
Von den letzten Tagen und Wochen dieser beiden prächtigen Menschen ist nicht
mehr viel bekannt. Nur soviel habe ich erfahren können: Der Bauer Wedig, der
gleichzeitig Ortsbauernführer der NSDAP war, wurde mit seiner Familie von den
Russen erschossen.
Oma und Opa wurden, etwa Anfang November 1945 ohne jedes Gepäck - sie waren
damals 73 und 71 Jahre alt - in Unterwäsche zum zum Bahnhof transportiert und in
Güterwagen verladen. Irgendwo, unterwegs, starb Oma. Die Tote wurde aus dem Zug
geworfen und an einem Bahnwärterhaus bei Küstrin beerdigt. Opa lebte nur noch
wenige Tage und starb angeblich in einem Lager in Plau, wahrscheinlich an
Typhus.
Auf Erkundigungen von Bekannten im gleichen Lager wurde von der polnischen
Lagerleitung nur geantwortet: "Heute Nacht sind einige Männer gestorben, es kann
sein, daß er dabei ist. Meine eigenen Nachforschungen blieben erfolglos. Vater
ließ, als er diese Nachricht bekam, seine Eltern offiziell für tot erklären. Als
Todestag wurde der 9.November 1945 festgesetzt.
R.I.P.
Über das Wüten der Roten Armee im Jahre 1945, die Zwischenzeit bis zur
Vertreibung der deutschen Bevölkerung durch die Polen und über die näheren
Umstände des Todes von Josef Kastilan und Anna Lippki berichtet ein Brief, der
vermutlich von der Ehefrau des Bruders der Anna Lippki verfasst wurde:
"(...) ausgegeben. Du suchst Du suchtst Frau Brahl aus Essen durch Wohnungsamt
und die haben ihr einen falschen Namen geschickt und die ließ nicht nach bis sie
richtige bekommen und die Rosa wußte doch von Mita aus die Adresse und so haben
wir uns alle gefunden.
Von Anton wußten wir auch erst als uns Anni schrieb und unsre Annche ist tot
das wißt Ihr ja wohl. Die ist schon drei Jahre tot. Die hat geheitat und was
Kleines. Da bekam sie Kindbettfieber. Da starb nach 14 Tage das Kind und die
gleich nach. Die wohnte in Rössel da bracht ich mich auch halbum.
Heute sagt ich schon paarmal Gottseidank. Ich habe und Anton auch zum lieben
Gott gebet und auch zum hl. Antonius geopfert er soll uns die Kinder suchen wenn
sie am leben sind und unser Gebet wurde erhört.
Ich danke dem lieben Gott das unser Kinder nicht in Russenhände geraten sind.
Ach ihr liebe Ihr habt garkeinen Begriff wie die Bestien reinkommen. Mich wollte
sogar einer vornehmen aber da war es doch wohl verboten. Als ich nicht ging da
ließ er mir sein.
Anton war 10 Wochen weg von mir ich war mit Frau Behlau ganz allein. Aus
Landsberg bis Rastenburg zimlich trüben sie uns wie das liebe Vieh aber Anton
lief davon und war innerhalb 4 Wochen zu Hause und ich kam nach Schöneberg. Wir
wußten einer vom andern nicht bis später. Da kam uns Onkel Kastilan holen. Wir
kannten ihn bald nicht in der Aufregung wie wir waren. Anton arbeitete bei
Wedigs bei Russen. Euer Eltern waren bei Beckmanns. Nachher zogen die Russen
nach Teistimmen und ich mit. Da waren wir ganze zeitlang.
Onkel K. kam uns immer besuchen und ich konnte ihm immer was zu essen
mitgeben. Ich war in der Küche und wir kochten für Deutsche. Da haben wir sehr
gut gelebt. Mittagüber ging ich viel hin brachte ihn alles mögliche. Hungern
brauchten sie nicht.
Nachher zogen die Russe ab da zogen wir alle bei Wedigs. Uns hat keiner Russe
nichts bei Wedigs genommen auch kein Pole. Ich fertigte sie immer ab. Muttche
war so froh die ließ mich am liebsten nicht aus der Stube. Ach wir lebten so
schön, wir haben von allem gehabt. Hönig brachte der Anton aus dem Wald.
Beckmanns hatten soviel weshalb sollten die gerade allein das essen. Unsres war
ja auch alles weg. Wir haben eine Kanne von 20 Lt. Honig noch vergraben auch
K.Fleisch (?) das wird noch drin stehen auch Kleider, aber wenn wir nichts
sollten haben brauchte auch der Pole nicht.
Also meine lieben vom Vater tuts uns heute noch leid. Ich war jetzt noch mal
auf dem Standesamt aber er ist in keiner Liste drin. Bis Plau haben wir ihn
gebracht. Das war in der Nacht wir konnten dem Wagen nicht folgen und morgens
früh müßten wir nach hier fahren und Anton fand Vater nicht. Paar Frauen sagten
da sind paar Männer gestorben der wird dabei gewesen sein der war ja schon halb
tot. Er sagte noch liebes Weibchen hol mich doch. Ich sagte sei zufrieden du
wirst bald erlöst und M.  ist an einem Wärterhaus vor Küstrin beerdigt. M. ist
sehr gut und leicht gestorben ich wischt ihr noch den Schweiß ab und da sagte
sie noch wo ist Anton mein Bruder das wär ich nicht vergessen.
Ach wenn ich an das denke. Vir Wochen sind wir gefahre gehungert gefroren
waren alles beraubt. Ach ich wär euch andrmal mehr schreiben.
Wenn wir uns mal aussprechen könnte wär besser aber die Hannche ist nicht weit
von uns die war am Sonntag uns besuchen. Ich sah sie schon von weitem und wir
weinten schon unterwegs. Der gehts auch schlecht. Die will bei seinen Mann und
hat kein Geld. Ich gab ihr auch etwas die andre könnte ihr was helfen.
Original im Familienarchiv unter AZ 16 abgelegt. Im Text wurde die
Interpunktion ergänzt.
Original im Familienarchiv unter AZ 17 abgelegt. Text ist leicht korrigiert,
die Interpunktion ergänzt.
vgl. dazu den folgenden Brief.
Original im Familienarchiv unter AZ 16 abgelegt. Der Text, der ohne jede
Interpunktion geschrieben wurde ist leicht korrigiert wiedergegeben. Der Brief,
aus dem die ostpreußische Mundart spricht, ist nicht ganz vollständig, die erste
und letzte Seite fehlt wohl Auf einem beiliegenden Umschlag ist vermerkt: Anton
Lippki, Plauerhagen über Plau, bei Schröder, Kreis Parchim, Mecklenburg.
Vermutlich die derzeitige Anschrift der Verfasserin.
Josef Kastilan
Maria Kastilan
Plau, am Plauer See, 30 km ostwärts Parchim in Mecklenburg
Muttchen, Maria Kastilan
Oma Ostpreußen, AZ 17)

Datenbank

Titel
Beschreibung
Hochgeladen 2005-02-01 19:39:47.0
Einsender Karl M. Brauer
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